Prof. Martin Fassnacht analysiert die Krise der deutschen Autohersteller in der FAZ
In seinem Gastbeitrag in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Rubrik „Der Betriebswirt“, 15. September 2025, S. 16) analysiert Prof. Dr. Martin Fassnacht, Inhaber des Lehrstuhls für Strategie und Marketing an der WHU – Otto Beisheim School of Management, die strategischen Fehlentwicklungen der deutschen Automobilhersteller. Seine Diagnose: Nicht exogene Schocks allein bremsen die Leitbranche aus, sondern ein über Jahre gewachsenes Muster mangelnder Marktorientierung. „Vielmehr hat sich über Jahrzehnte eine Marktarroganz etabliert, während wichtige Entwicklungen verschlafen wurden. Man war sich des Erfolgs zu sicher“, schreibt Fassnacht.
Aus Marketingsicht kritisiert er eine strategisch unscharfe Markenführung und fehlerhafte Produktpolitik. Am Beispiel Mercedes zeigt er, warum die 2022 ausgerufene Luxusstrategie nicht zur Identität und Marktrolle der Marke passt: „Wie kann eine Marke wie Mercedes mit jährlich zwei Millionen verkauften Pkw aus Kundensicht Luxus darstellen?“ Zum Vergleich: Die ikonische Luxusmarke Ferrari verkaufte im letzten Jahr 14.000 Pkw. Die Folge seien verwässerte Positionierungen und erodierende Ertragskraft. Auch Volkswagen agiere „ohne Markenclaim“; ein Nachfolger für „Das Auto“ sei überfällig, um Orientierung für interne Entscheidungen und externe Wahrnehmung zu schaffen.
In der Produktpolitik attestiert Fassnacht insbesondere Volkswagen unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Herbert Diess sowie Mercedes ein doppeltes Versäumnis bei der Elektrifizierung: Zunächst habe man den Trend unterschätzt, anschließend mit hektischen Transformationsparolen wie „Electricity first“ übersteuert. Dabei gehe es nicht um Langsamkeit, sondern darum, die Fähigkeiten und Kompetenzen des Unternehmens im Hinblick auf die Märkte realistisch einzuschätzen. Als positives Beispiel nennt er BMW. Dort wurden die Produktionsprozesse früh so ausgerichtet, dass unterschiedliche Antriebsarten – Verbrennungsmotor, Elektro und Plug-in-Hybrid – flexibel auf derselben Linie gefertigt werden können.
Fehlentscheidungen bei Design- und Nomenklaturkonzepten hätten die Umstellung zusätzlich erschwert: Der EQS erinnere „in keiner Weise an eine S-Klasse“, die Audi-Logik gerader und ungerader Zahlen sei von Kunden wie Händlern nicht verstanden worden.
Für die nächste Evolutionsstufe der Wertschöpfung plädiert Fassnacht für eine klare Priorisierung der Nutzererfahrung: „Autos müssen wie in China in Zukunft als ‚digitale Wohlfühlwelten‘ ausgestattet werden.“ Zentrale Kaufbarrieren – Reichweitenangst und Ladeinfrastruktur – seien mit zielgruppengenauen, längerfristig angelegten Kommunikationskampagnen abzubauen: „Auf keinen Fall dürfen die Kampagnen zu technisch gestaltet werden.“ Dabei erinnert er an die Kraft bildhafter Nutzenkommunikation, etwa den legendären Audi-Spot zur Quattro-Technologie, bei dem ein Audi 100 CS quattro eine Skischanze bewältigt, und stellt die Frage, ob Audi seinen Claim „Vorsprung durch Technik“ heute noch einlöst.
Kritisch bewertet Fassnacht zudem die Hinwendung zum Direktvertrieb via Agenturmodell. Hersteller hätten die Komplexität des Vertriebsumbaus und die Leistungsfähigkeit der eigenen Organisation überschätzt; Praxisprobleme führten bereits bei der Volkswagen Group zur Überprüfung entsprechender Vertriebsmodelle. Die Verantwortung reiche bis in die Aufsichtsgremien: „Wie konnte der Aufsichtsrat von Mercedes-Benz nur der Luxusstrategie folgen?“
Trotz der deutlichen Kritik skizziert Fassnacht einen realistischen Pfad zurück zu profitablem Wachstum. Erste Korrekturen seien sichtbar: Mercedes habe die Luxusstrategie aufgegeben, die Submarke EQ gestrichen und die Designunterschiede zwischen Antriebsarten verringert; Reichweiten und Ladezeiten deutscher E-Modelle wie BMW iX3 und Mercedes-Benz GLC verbesserten sich, und VW verkauft in Europa erfolgreich E-Autos. Die Voraussetzungen – technologische Kompetenz und starke, international bekannte Marken – seien vorhanden. Der entscheidende Hebel bleibt jedoch die konsequente Rückkehr zur Marktorientierung: „Gelingt den deutschen Autoherstellern eine konsequente Marktorientierung, können gute Zeiten bevorstehen. Aber nur dann.“
Der Artikel "Die deutschen Autohersteller waren zu arrogant gegenüber dem Markt” von Prof. Dr. Martin Fassnacht ist am 15. September 2025 in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung in der Rubrik „Der Betriebswirt“ auf Seite 16 sowie online hier (Paywall) erschienen.